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Unsere Reiseroute an der ehemaligen innerdeutschen Grenze



1 Dreiländereck Sachsen, Bayern, Tschechien
2 Mödlareuth
3 Blankenstein/Lichtenberg
4 Heinersdorf/Pressig
5 verschwundenes Dorf Liebau
6 Behrungen/Rappertshausen
7 Eichsfeld/Grenzmuseum Schifflersgrund/Ausbildungszentrum der Bundespolizei Eschwege
8 Golf ohne Grenzen auf dem Rittergut Rothenberger Haus
9 Grenzübergang bei Marienborn
10 an der Elbe, Wootz, Gorleben, Dömitz (Fähre)
11 Schaalsee, Lassahn, Techin
12 Großer Ratzeburger See, Utecht
13 Heiligendamm


1 Dreiländereck Sachsen-Tschechien-Bayern




Hier begann unsere 3wöchige Reise an der ehemaligen innerdeutschen Grenze entlang. Der Stein DB steht für Bayern, DS für Sachsen und um von Bayern nach Sachsen zu gelangen muß man die kleine Brücke über Tschechien passieren…








2 Mödlareuth – „Kleinberlin“(Bayern/Thüringen)




Mödlareuth ist ein Dorf mit ungefähr 50 Einwohnern, das eine Besonderheit aufweist: Es ist seit mehr als 400 Jahren zwischen den Ländern Thüringen und Bayern geteilt. 41 Jahre lang verlief hier mitten durch das Dorf eine Mauer. Ein kleiner Teil davon ist nach der Wende für das Freilichtmuseum erhalten geblieben.









Der Postbote Markus Rottmann arbeitet im Bezirk Hof, Frau Birgit Rudert als Postbeamtin in Gefell. Beide kommen täglich nach Mödlareuth, um ihren Dorfteil mit Post zu beliefern. Doch sie kennen sich mittlerweile gut und wenn ein Brief mal falsch frankiert ist, fährt man schon auch mal 5 Meter weiter ins andere Bundesland…



Der gut besuchte Gasthof „Zum Grenzgänger“ liegt auf der thüringschen Seite. Hier verkaufen Eleonore Müller und Birgit Mehnert deshalb Thüringer Rostbratwürste und keine Weißwurst.





Ährenfelder und Windräder werden uns die ganze Zeit auf unserer Reise begleiten.







3 Blankenstein (Thüringen) - Lichtenberg (Bayern)




Blankenstein und Lichtenberg liegen sich genau gegenüber: Blankenstein im Saaletal und Lichtenberg hoch oben auf dem Berg. Die Geschichte der beiden Städte nach und vor der Wende ist interessant. Blankenstein lebt von seiner Industrie, der Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal. Kurz nach der Wende drohte auch diesem Unternehmen kurzzeitig das aus. Doch die Arbeiter und Anwohner hatten Glück. Die rentable Fabrik wurde von einem kanadischen Unternehmer übernommen und ist seither größter Arbeitgeber in dieser thüringischen Region. Aus diesem Grund geht es der thüringischen Seite hier verhältnismäßig gut.



Christian Sörgel und Uwe Fleischmann gehören zu den leitenden Angestellten des Unternehmens. Während es Herrn Sörgel aus Hof erst nach seinem Studium in die thüringische Provinz gezogen hat, kennt Herr Fleischmann die Fabrik schon seit über 30 Jahren. Nun arbeiten sie gemeinsam für die Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal GmbH und versichern uns, daß hier die Ost/West-Herkunft schon längst kein Gesprächsthema mehr ist…





Elke Beyer ist die Bürgermeisterin von Lichtenberg. Vom Burgplatz aus kann man in Lichtenberg direkt nach Blankenstein ins Tal schauen. Frau Beyer hat auch ihre Kindheit schon in Lichtenberg verbracht und kann sich gut an den damaligen traurigen Blick in die DDR erinnern.



Aufgrund der Grenznähe kamen vor der Wende viele schaulustige Grenztouristen in den Ort und das Camping- und Freizeitzentrum am Frankenwaldsee war gut besucht. Dem Ort ging es deshalb sehr gut. Nach der Wende – erzählt uns Frau Beyer – änderte sich das schlagartig. Die Touristen blieben aus und die grenznahen Regionen auf westdeutscher Seite gerieten in Vergessenheit, während die Ostseite von den Geldern des „Aufbau Ost“ profieren konnte. Seither hat Lichtenberg um seine Besucher zu kämpfen und wirbt vor allem mit der wunderschönen Umgebung des Frankenwalds und seiner Schloßruine.










4 Heinersdorf (Thüringen) - Pressig (Bayern)



Der Ortseingang von Heinersdorf war einmal die Grenze zwischen der DDR und Westdeutschland – und hier stand auch eine Mauer. Am 19. November 1989, dem Volkstrauertag, entschieden sich die Blaskapellen in Pressig und in Heinersdorf gemeinsam von beiden Seiten an die Mauer zu marschieren und zu musizieren. Mehrere tausend Menschen versammelten sich an diesem Tag an der Mauer, so daß der Grenzposten am Nachmittag schließlich die Grenze öffnen mußte. Ein Gedenkstein und ein Stück Mauer erinnern heute an die Geschichte des Ortes.







Rudolf Kopp vom Musikverein Pressig erzählt uns die Geschichte der beiden Blaskapellen. Er ist einer der wenigen in der Kapelle, die diesen Tag damals aktiv miterlebt haben. Für ihn ist es der wichtigste und bewegendste Tag in seinem Leben, denn er hatte 40 Jahre zuvor auch miterlebt, wie die Grenze geschlossen worden war.




5 Liebau - das verschwundene Dorf an der Grenze Thüringen/Bayern




Auf der Suche nach verschwundenen Dörfern fahren wir immer wieder an weiten Feldern vorbei.



Über 10.000 Menschen wurden im Rahmen von zwei großen Aktionen an der innerdeutschen Grenze auf Geheiß der DDR-Regierung 1952 (Deckname "Ungeziefer") und 1961 (Deckname "Kornblume") aus ihren Dörfern vertrieben. In den siebziger Jahren werden viele dieser Dörfer, die den DDR-Machthabern zu nahe an der "Staatsgrenze-West" standen, dann dem Erdboden gleichgemacht. Alle diese Dörfer lagen in der sogenannten „Sperrzone“. Auch Liebau gehörte zu diesen Dörfern. Heute befinden sich dort, wo einmal mehrere Menschen lebten, wieder Felder. Ein Gedenkstein in mitten der Landschaft erinnert an den einstigen Ort und lädt Radfahrer und Wanderer zum kurzen Verweilen ein. Auf der Suche nach den verschwundenen Dörfern der Region mußten wir jedoch feststellen, daß viele Bewohner aus der unmittelbaren Umgebung diesen Ort nicht kannten.




6 Behrungen (Thüringen) - Rappertshausen (Bayern)




Andreas Erhard und seine Familie haben den Verein „Deutsches Kuratorium e.V.“ gegründet und setzen sich für die Erhaltung der Grenzdenkmäler in Thüringen ein. So gibt es beispielsweise an der Grenze zwischen Rappertshausen und Behrungen für Besucher die Möglichkeit von der westdeutschen Seite über den ehemaligen Zollweg direkt an der Grenze entlang bis zum Grenzturm auf ehemaligen DDR-Grenzgebiet zu laufen. Herr Erhard bemühmt sich sehr darum, daß die Grenzanlagen im Originalzustand erhalten bleiben, so daß interessierte Besucher einen realitätsgetreuen Eindruck der damaligen Grenze bekommen können. Im ersten Bild steht Andreas Erhard vor dem ehemaligen Aussichtsturm für Grenztouristen auf der bayerischen Seite.



Foto von bayerischen Grenztouristen aus den 70er Jahren.



Die ehemalige DDR-Grenzanlage in Behrungen. Dieses Foto haben wir von der bayerischen Seite aus aufgenommen. Weiter als bis hierhin durften auch die Bundesbürger damals nicht, da sie im sogenannten "Niemandsland" von den DDR-Grenzposten hätten festgenommen werden können.



Ein Besuch auf dem ehemaligen DDR-Grenzturm. Das Inventar des Turms ist vollständig erhalten geblieben und der Blick aus dem Fenster verrät, wie weit die Grenzposten tatsächlich schauen konnten.




7 Ausbildungszentrum der Bundespolizei (Hessen)




Der Bundesgrenzschutz wurde am 16. März 1951 ursprünglich nur für den spezialpolizeilichen Auftrag der Grenzsicherung gegründet, erhielt später aber zunehmend auch schutzpolizeiliche Aufgaben. Da jedoch nach der Wende die Hauptaufgabe, die Landesgrenzen zu schützen, weggefallen war, wurde am 30. Juni 2005 der Bundesgrenzschutz in Bundespolizei umgenannt. Heute nimmt diese umfangreiche und vielfältige sonderpolizeiliche Aufgaben wahr, die in Rechtsvorschriften, wie z. B. im Aufenthaltsgesetz, im Asylverfahrensgesetz und im Luftsicherheitsgesetz geregelt sind.




7 Eichsfeld & Grenzmuseum Schifflersgrund (Thüringen/Hessen)




Das Eichsfeld stellte sich für uns als eine beeindruckende Landschaft heraus. Wir haben das Glück, daß uns auf unserer Wanderung auf dem ehemaligen Plattenweg entlang Udo Holluba begleitet. Er hat zu DDR-Zeiten hier im Forstwirtschaftsbetrieb gearbeitet und kann uns nicht nur viel über die ansässige Flora und Fauna erzählen, sondern führt uns auch zu versteckten Stellen, die dem normalen Wanderer vielleicht unbemerkt bleiben…



…über die Stasi-Schleuse – erklärt uns Holluba &ndash konnten zu DDR-Zeiten Spione aus dem Osten in den Westen geschleust werden und somit ohne Kontrollen ein- und auswandern.





Holluba mit Kameramann Thomas Doberitzsch. „Man muß nicht immer in den Schwarzwald reisen, um so eine Landschaft zu erleben“, meint der ehemalige Förster. Doch das Eichsfeld bietet seit der Wende noch etwas ganz besonderes: das „Grüne Band“. Es soll sich einmal von Nord- bis Südeuropa erstrecken und markiert den ehemaligen Grenzverlauf zwischen dem Westen und den Ostblockstaaten. Und auch in Deutschland versucht man, die tief in die Landschaft eingekerbte Grenzlinie als Wanderweg zu erhalten. Herr Holluba erzählt uns, daß sich durch die jahrelange Abschottung des Menschen in diesem Gebiet ein ganz neues Tier- und Pflanzenreich entwickelt hat, was sich zu erhalten lohnt.



Im Grenzmuseum Schifflersgrund gibt es so einige Kuriositäten zu sehen. Dicht gedrängt auf engstem Raum sind hier sämtliche Requisiten aus dem Grenzgebiet gesammelt und aufbewahrt worden. Und so kann man neben vielerlei Dokumenten und Fotos auch Hubschrauber und Panzer aus der damaligen Zeit bestaunen. Hier wird gerade ein amerikanischer Panzer neu gestrichen.



Wir hatten uns gerade vom Museumsleiter verabschiedet, als wir nach einigen Metern wieder anhalten mußten. Das Bild von den beiden alten Männern – der eine mit einem kleinen, roten Fiat Punto und der andere mit einem alten braunen Mercedes &ndash erschien uns wie eine Offenbarung. Die beiden mußten schon eine Ewigkeit dort gestanden haben und sie waren auch noch dort als wir wieder ins Auto stiegen. Worüber sie sich wohl unterhalten haben? Sie haben nie zu uns hinüber geschaut. Doch umso staunender blickten wir zu ihnen. Karl-Heinz und Gerhard, wir hatten ein gemeinsames Bild gefunden, das uns die weitere Reise begleiten würde.




8 Golf ohne Grenzen




Die Hälfte der Reise hatten wir nun schon fast hinter uns und unser Plan sah vor, daß der nun folgende Tag ein Reisetag werden sollte, an dem wir mit dem Auto eine Ferienwohnung nördlich vom Harz erreichen mußten. Von dort aus wollten wir dann weiter recherchieren. Doch unsere Neugier durchkreuzte mal wieder unseren Reiseplan, zum großen Ärger unserer Produktionsleiterin, die sich von München aus um unsere Unterkünfte kümmerte.
Doch was soll man machen, wenn plötzlich ein Schild mit der Aufschrift „Golf ohne Grenzen“ vor einem auftaucht und mit einem Pfeil nach links zeigt? Wir mußten einfach abbiegen…



Der Besitzer des Golfplatzes, Klaus Schulze-Niehoff, heißt uns freundlich willkommen und wir fahren mit ihm im Golfwagen über die weitläufige Anlage. Auch Schulze-Niehoff hat hier früher schon gewohnt und kann sich gut an die alte Zeit erinnern. Es wäre der sicherste Ort der ganzen Republik gewesen, erzählte er. Auf seiner, der niedersächsischen Seite hätte der Bundesgrenzschutz gewacht und auf der anderen Seite wären die NVA-Soldaten gewesen. Aber es sei immer ruhig gewesen und es wäre nie was passiert, fügt er hinzu.



Schulze-Niehoff führt uns zu der Stelle, an der einmal die Grenze entlang gegangen sein soll. Er zeigt auf ein kleines Bächlein, eher ein Rinnsal, das kurz vor dem Austrocknen ist. Ansonsten sehen wir nichts, was irgendwie die Landschaft zerteilen würde. Hier also hat die Natur schon wahre Arbeit geleistet und es ist als ob sie damit dem Besitzer des Golfklubs zustimmen will, der uns zum Abschied sagt: „Was sind schon 40 Jahre in der Geschichte? Ein Wimpernschlag in der Geschichte!“





Wir reisen weiter. Als wir vom Golfplatz aufbrechen, dämmert es schon. Es hatte kurz geregnet und der Abendnebel hatte die Landschaft in verschiedene Pastelltöne gefärbt. Wir werden – wie an vielen Tagen zuvor – erst weit nach Mitternacht an unserer nächsten Herberge ankommen.




9 Grenzübergang Marienborn




Der Grenzübergang Marienborn mit seinem kleinen Museum ist leicht zu finden, denn auf dem ehemaligen Grenzgelände befindet sich heute auch eine Autobahn-Raststätte von der A2. So können also die Raststätten-Besucher, nachdem sie ihren Hunger gestillt haben, noch einen kleinen Spaziergang über das ehemalige Zoll- und Grenzgelände anschließen.







Die Anlage ist riesig. Neben einem Haus, in dem sich das Museum befindet, gibt es noch weitere Gebäude, die teilweise frei zugänglich sind.



In eines Gebäude sind wir mit unserer Kamera hineingetreten. Wie wir später erfahren, ist es das Haus, in dem die Zollbeamten der Grenzanlage untergebracht gewesen sind. Unsere Schritten hallen in den leeren Räumen wieder und es ist nicht zu übersehen, wie auch hier der Zahn der Zeit an den Wänden nagt…









Drei Lackschichten zählen wir am Treppengeländer. Aus welcher Zeit wohl die unterste stammt? Am Eingang vorm Haus blüht schon Löwenzahn. Vielleicht steht dieses Gebäude in 10 Jahren schon nicht mehr hier. Gut, daß wir es noch besichtigen konnten.




10 An der Elbe (Brandenburg/Niedersachsen)




Die dritte Reisewoche ist angebrochen und wir erreichen, schon weit im Norden, endlich die Elbe. Wir sind fasziniert von dieser beeindruckenden Landschaft, denn das Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue begrüßt uns mit fliegenden Störchen und einem atemberaubenden Sonnenuntergang. Aber auch hier ist der Plattenweg unser stetiger Begleiter…



Wir nehmen uns vor, den Raum um Gorleben näher zu erkunden, und fahren deshalb zunächst auf die gegenüberliegende (östliche) Seite der Elbe. Dort befindet sich das kleine Örtchen Wootz, in dem wir die Bekanntschaft mit mehreren Einwohnern machen. Unter ihnen sind auch Martin Ansorge und Peter Röhl. Einer der beiden lernt im ortsansässigen Landwirtschaftsbetrieb. Aber ihnen ist beiden klar, daß sie nicht hier bleiben wollen. Die meisten Freunde seien schon weg, erzählen sie uns, und hier könne man auch keine Karriere machen. Das Stadtleben wäre da schon besser. Von der Wende haben sie hier nichts mitbekommen, da waren sie noch zu klein.



Klaus-Jürgen Borrmann ist Bürgermeister in Wootz und arbeitet ebenfalls im ansässigen Landwirtschaftsbetrieb. Er erzählt uns von der aufregenden, aber auch unsicheren Zeit nach der Wende, der Annäherung mit Gorleben und der erfolgreichen Neugründung des Zuchtbetriebs. Von dem vielen Geld, das der Gemeinde Gorleben aufgrund des Atommüll-Zwischenlagers immer wieder zugesprochen wird, sieht Wootz keinen Pfennig, obwohl die Entfernung zum Lager fast gleich ist. Natürlich hatte Wootz 1977, als die Standortentscheidung für Gorleben auf westlicher Seite fiel, keinerlei Mitspracherecht. Doch auch heutzutage beschränkt sich die Unterstützung des Gebietes rund um das Lager auf die westliche Seite. Die Geschichte von Wootz und Herrn Borrmann ist so spannend, daß sie einen eigenen kleinen Film benötigen würde, um ihr gerecht zu werden. Aus diesem Grund haben wir uns am Ende des Schnitts schweren Herzen entschieden, Herrn Borrmann doch aus dem Film zu nehmen.





Auch an Ani Drescher wohnt mit ihrem Sohn in Wootz. Sie und ihre Familie haben sehr darunter gelitten, daß sie plötzlich nicht mehr an den Fluß duften, der sie in ihrer Kindheit und im Alltag immer begleitet hatte. Sie erzählt uns von ihrem Sohn, der sich anfangs nicht an die Grenze gewöhnen konnte und heimlich mit einem Freund fischen gegangen ist, bis man sie eines Tages erwischt hat… Leider ist auch Frau Drescher nicht mehr im Film. Umso schöner ist es, daß wir auf all diese Personen, die uns während der Reise so freundlich empfangen haben, mit Hilfe dieser Seite noch aufmerksam machen können.



Die Suche nach dem Atommüllzwischenlager gestaltet sich anfangs schwieriger als wir dachten. Nirgendwo gibt es Hinweisschilder und wir haben zunächst keine Ahnung, in welche Richtung wir fahren sollen. Doch auch dieses Mal scheint unser großes blaues BR-Logo auf dem Bus Wirkung zu haben und ein Einwohner Gorlebens weißt uns freundlich den Weg. Wir fahren eine kleine Landstraße entlang, die zu einem kleinen unscheinbaren Ort führt. Links und rechts der Straße wachsen dichte Kiefernwälder. Plötzlich ist rechts eine Einfahrt. Außer dem dicken Sicherheitszaun, dem Stacheldraht und der ÜberwachungskameraNichts deutet nichts darauf hin, daß hier Atommüll zwischengelagert wird. Wir hatten irgendwie mit mehr Wachposten und Sicherheitszonen gerechnet. Doch so können wir uns ungestört vor das Tor stellen und unsere Aufnahmen machen. Ein bißchen mulmig ist uns schon. Wenn man so leicht bis an das Tor herankommen kann, ist doch die Gefahr groß, daß Verbrecher mit schwerem Geschütz ebenso leicht vor dem Tor Aufstellung nehmen können, oder?



Es ist das erste Mal, daß wir außerhalb eines Grenzmuseums Stacheldraht sehen. Hier ist er noch in Gebrauch. Damals sollte der Draht die DDR-Bürger – so sagte man – vorm bösen Imperialismus schützen. Doch was oder wer wird hier geschützt? Der Müll vor den Bürgern, potentiellen Terroristen oder Atomkraftgegnern? Irgendwie behält Stacheldraht trotzdem immer einen negativen Beigeschmack. Zum 31. Dezember 2015 laufen mehrere Grundstücksverträge des Lagers aus und es gilt als unsicher, daß die Eigentümer diese nochmals verlängern werden. Vielleicht verschwindet also auch bald im Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue der letzte Stacheldraht aus dieser wunderschönen Landschaft…





Wir fahren weiter gen Norden an der Elbe entlang, bis wir die Fähre erreichen, die uns wieder auf die östliche Seite des ehemaligen Grenzflußes führen soll. Die Elbe ist hier sehr breit und so dauert eine Überfahrt entsprechend lang. Die Sonne steht schon sehr tief und spiegelt sich im Wasser. Es ist ein überwältigendes Gefühl auf dieser Fähre zu stehen. Karl-Heinz und Gerhard gehen uns nicht aus dem Kopf. Doch trotz der nun freien Überfahrt ist auch hier die Geschichte noch spürbar: bei der Ankunft am östlichen Ufer empfängt uns abermals ein alter Grenzüberwachungsturm.









Auf der östliche Seite der Elbe erwartet uns die Stadt Dömitz. Ein kleiner hübscher Ort, der mit seiner Elbnähe im Sommer viele Touristen anlockt. Uns fasziniert vor allem der Kirchvorplatz. Von hier aus sieht man nicht nur das alte Kaufhaus des Ortes, das sicherlich schon mal bessere Zeiten erlebt hat, sondern wir lernen auch ein paar Kinder dieser Stadt kennen. Sie und ihre Eltern haben nichts dagegen, daß wir sie filmen, und so können wir sie für unsere Erinnerung festhalten. All diese Kinder sind schon in ein vereintes Deutschland geboren worden. Sie werden von der 40jährigen Teilung nur noch aus Geschichtsbüchern erfahren, so wie wir uns die Geschichte des Zweiten Weltkrieges aus den selbigen erschließen mußten. Was wird von der Gegenwart einmal in den Geschichtsbüchern landen? Ob die Kinder wissen, daß die Zeit, die sie gerade verbringen, morgen auch schon zur Geschichte gehört?







Am Abend findet im Ort ein Sommerfest statt. Eine Band spielt alte Lieder, auch City und die Pudhys sind dabei. Die Einwohner tanzen und singen mit. Die Stimmung ist ausgelassen und heiter. Nur ungern verlassen wir das Fest und unser Kameramann beschwert sich, daß er aufgrund der langen Dreharbeiten nicht mal eine Bratwurst essen konnte…




11 Am Schaalsee (Schleswig-Holstein/Mecklenburg-Vorpommern)




Unsere vorletzte Reisestation führt uns zum Schaalsee. Zwei Ranger vom Biosphärenreservat zeigen uns die Umgebung und wir haben das Glück, ganz unterschiedliche Anwohner in der Gegend kennenzulernen. Nora Jahns haben wir sofort ins Herz geschlossen. Sie wohnt auf ihrem Hof in Techin schon seit 1948. Sie hat ihren Vater hier wiedergefunden, während ihre Mutter in ostpreußischer Gefangenschaft früh ums Leben kam. Dann kam die DDR und mit ihr der Zaun, der sie vom Schaalsee trennte.
Heute ist sie fast die einzige alte Einwohnerin des Dorfes. Ihre Nachbarn kommen nun hauptsächlich aus Hamburg oder der näheren Umgebung. Für sie bietet der Schaalsee vor allem Erholung von der Stadt und die Grundstückspreise auf der ostdeutschen Seite sind erschwinglicher als am gegenüberliegenden Ufer.



Auch an der kleinen Stadt Lassahn ist die Wende nicht spurlos vorüber gegangen. Der Ort ist mittlerweile dreigeteilt: einige Neubauten erinnern noch an die Zeit, als hier die Grenzsoldaten untergebracht waren, es gibt den alten Stadtkern mit einem Restaurant, das einen schönen Blick auf den See gewährt, und ein neues Eigenheimviertel neu hinzugezogener Lassahner.



Die beiden Ranger führen uns zu Herrn Schüler. Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit hat er schon an vielen Orten in Westdeutschland gelebt. Nun ist er Rentner und hat sich in Lassahn ein Haus gebaut, in dem er mit seiner Frau seinen Lebensabend verbringen will. Ihn fasziniere vor allem die Landschaft hier, erzählt er uns. Und aus diesem Grund setze er sich für mehr ausgebaute Wanderwege in der Umgebung ein. In diesem Punkt liegt er jedoch mit den Rangern vom Biospährenreservat Schaalsee im Streit. Denn wie im Eichsfeld versuchen auch hier die Ranger das sich über 40 Jahre entwickelte Pflanzen- und Tierreich östlich des Schaalsees zu erhalten. Steht man am nördlichsten Punkt des Sees und schaut Richtung Süden, kann man gut den Unterschied zwischen den beiden Seehälften erkennen: im Westen die kleinen Häfen mit Segeljachten und im Osten ein riesiges Wald- und Schilfgebiet. Es gäbe aber trotz der großen Schutzzone ausreichend Wanderwege, erklären uns die Ranger.



Am nächsten Morgen haben wir früh um 6.00 Uhr noch einen weiteren Termin: der Fischer Jens Ritter nimmt uns in seinem Boot mit raus auf den Schaalsee. Jeden Morgen holt er hier die Netze ein. Doch die Ausbeute ist wie an jedem Morgen schlecht. Man fische hier hauptsächlich Maränen. Durch die immer größer werdende Anzahl an Kormoranen bleiben die Hausfische des Sees jedoch zunehmend aus. Im letzten Jahr hat sich Ritter deshalb entschieden, seine Selbstständigkeit aufzugeben. Nun ist er Angestellter beim Grafen Johann von Bernstorff, dem auch das Gewässer gehört, das er befischt. Und das wäre auch besser so, meint Ritter. Damit und mit dem kleinen „Brückenhaus“-Restaurant, das er betreibt, kann er einigermaßen gut leben. Allein von der Fischerei &ndash das wäre heute Existenz bedrohend.








12 Utecht am Großen Ratzeburger See (Schleswig-Holstein/Mecklenburg-Vorpommern)




Der Große Ratzeburger See liegt nördlich vom Schaalsee. Hier treffen wir auf das Paar Hans-Werner Grimm und Heidemarie Gaikowski. Sie haben sich erst nach der Wende kennengelernt, nachdem Grimm 1993 wieder auf seinen Hof in Utecht zurückgekehrt war. Seine Geschichte ist den Bewohnern von Liebau nicht unähnlich. Der Ort war zu nah an der Grenze und so mußte seine Familie ihren Hof 1952 verlassen. Man brachte sie nach Ostberlin, wo die Familie aber nach kurzem Aufenthalt in den Westen floh. Seither hatte Grimm in unterschiedlichen Orten gewohnt und gearbeitet. Aber seine Heimat sei hier, sagt er uns, er wäre nirgendwo im Westen so richtig heimisch geworden. Nach der Wende kehrt Grimm deshalb wieder zurück, um den Hof seines Vaters weiterzuführen. Einige im Ort kennen ihn noch. „Damals waren wir jung und als ich zurückkam, waren wir alle alte Leute“, fügt er leise hinzu.
Frau Gaikowski schaut ihn von der Seite an und meint zu uns, Grimm wäre ein Wossi &ndash also jemand der aus dem Osten kommt, geflohen ist und dann wieder zurückgekommen ist. Aber Grimm schüttelt nur den Kopf. Für ihn gibt es diese Unterteilung in Ossi und Wessi nicht mehr. „Doch, manchmal ist das noch so“, entgegnet daraufhin leise seine Freundin und senkt den Kopf.






13 Ankunft an der Ostsee &ndash Heiligendamm




Auf das Meer hatten wir uns gefreut. Wir fahren auf unsere Rückreise bis nach Bad Doberan, wo unsere Produktionsleiterin Karolin Koretz uns eine letzte Herberge besorgt hat. Doch wir kommen nicht überall ans Meer. In Heiligendamm findet gerade der 33. Weltwirtschaftsgipfel der G8-Staaten statt und ein neuer Zaun versperrt uns den Weg. Nocheinmal Stacheldraht. Die Bundespolizei kommt ihrer neuen (alten) Aufgabe nach. Am Ende unserer Reise stehen wir vor einer neuen Grenze.